I wanna be high, so high
I wanna be free to know
The things I do are right
I wanna be free
Just me, babe!That’s why I’m easy
I’m easy like sunday morning
That’s why I’m easy
I’m easy like sunday morningThe Commodores

Die letzten Tage waren unglaublich verrückt und im Prinzip alles zu Gleich. Ich war auf der Suche nach einer Bleibe. Die Ungewissheit wo man in Zukunft schlafen kann hat etwas sehr beängstigendes und gräbt sich im Bewusstsein weit nach vorne. Ich bin sowieso ein Mensch, der gerne alles durchplant, immer drei Notlösungen im Hinterkopf hat und erst entspannen kann, wenn wirklich nichts mehr getan werden muss. Das hat auch seine guten Seiten. Denn dadurch kann ich Aufgaben gut durchziehen und weiß genau, was ich tun muss, um ans Ziel zu gelangen. Andererseits liegt darin auch die Begründung begraben, wenn ich sofort Kopfschmerzen und Übelkeit ausfahre, sobald nicht mehr alles meinen durchgeplanten Gang läuft. Der Stresspegel steigt umso höher, desto weiter ich mich aus meiner Komfortzone entferne. Und das passiert gerade.
Sonntag. Ich fahre mit Josefin mit dem Auto einer Freundin hinaus ins etwa eine Stunde entfernte Umland von Dublin. Josefin möchte dort auf einer Farm beim Pflegen der Pferde helfen, da sie diese durch ihr schwedisches Blut sehr vermisst. Ich war ja schon freundlichen Menschen hier begegnet, aber die Menschen dort zeigen mir deutlich was es wirklich bedeutet, wenn man von der Freundlichkeit der Iren spricht. Die warme und trockene Stube, die Tasse Tee und der Keks werden mir förmlich hinterher geworfen. Und für alle Neuankömmlinge ist es keine Überraschung jemand Fremdes in ihren Räumen vorzufinden. „Nice to meet you!!“. Das Thema der Freundlichkeit wird fortgesetzt durch ein Treffen mit zwei Couchsurfern aus Indien, die mir noch nützliche Tipps im Umgang mit der Stadt geben und mir viel über ihre Kultur erzählen.The Spire – D E R Treffpunkt für alles und jeden

Doch den ganzen Tag über spüre ich eine große Anspannung in mir und kann mich nicht 100%ig auf die Menschen einlassen, die mir begegnen. In meinem Kopf kreisen Lösungsideen für meine Wohnungssituation, Überschlagsrechnungen und sogar Gedanken ans Aufgeben. Wenn ich emotional und körperlich geschwächt bin fallen alle Mauern. Mein Vertrauen in den Sinn hinter allem, meine Fähigkeit mich abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen und sogar mein reichlich vorhandener Optimismus nehmen sich frei und fahren ins Ausland.
Ich muss an die Menschen denken, die tagtäglich vor solchen Fragen und Gefühlen stehen und das in sehr viel schlimmerer Variante. Lernt man mit der Zeit damit umzugehen? Oder nur damit zu leben? In Dublin leben unglaublich viele Menschen zusammengedrängt in kleinen Räumen und auf der Straße. Josefin vermutet, dass etwa doppelt so viele Menschen in Dublin leben, als offiziell bekannt ist, da viele einfach nicht gemeldet sind oder kein Zuhause haben. Schon in Berlin war ich geschockt über die vielen armen Menschen ohne den Luxus einen Ort für sich zu haben. Aber diese haben dennoch Anlaufstellen, wo Ihnen geholfen werden kann. Hier ist das nicht so einfach. Und diese Menschen liegen früh, wenn ich zur Arbeit gehe, in Hauseingängen und erinnern mich daran, wie unglaublich gut und einfach ich es habe – trotz meiner Sorgen.
Aber meine Gedanken und Sorgen werden dadurch dennoch nicht kleiner. Ich denke an die Leichtigkeit des Lebens die ich vorher hatte und merke, dass ich Leichtigkeit mit materiellen Dingen gleichsetze. Ein Dach, genug Geld und die Sicherheit immer genug zu essen zu haben. Diese Dinge nehmen mir die Sorgen, die ich jetzt habe. Ich habe wieder diesen Satz von einem sehr wichtigen Freund im Ohr: „Mach es dir doch nicht so schwer!“ Obwohl er dies in einem anderen Kontext sagte, fällt er mir jetzt wieder ein. Vielleicht nehme ich dieses Leben und mich einfach zu ernst. Vielleicht ist alles ganz leicht, nur ich verbaue mir die Sicht darauf durch die Dinge, die ich in meinem Leben gelernt habe. Alte Glaubenssätze, wie die Notwendigkeit von Sicherheit oder dass es immer angenehm und schön sein muss gehen mir durch den Kopf. Aber vielleicht ist das einfach das Leben. Es geht auf und ab. Vielleicht kommt die Leichtigkeit auch mit schwierigen Situationen, wenn man diese einfach zulässt und weiter geht. Möglicherweise machen wir uns das Leben selbst schwer und nicht umgekehrt. Kurz innehalten, sein Möglichstes tun und vertrauen. Oder wie es eine sehr gute Freundin ausdrückte: „Das Leben wird dich so oft in die Luft werfen und wenn du dich im freien Fall ängstlich und verloren fühlst, hab Vertrauen und sei gewiss, dass es dich mit Sicherheit unten wieder auffangen wird um dich abermals in die Luft zu katapultieren.“ Das trifft ziemlich genau den Kern meiner Gegenwartskirsche. Und auch wenn sie an manchen Stellen sauer schmeckt wächst aus ihr ein großer Baum.
Und doch geht es mir bei weitem nicht so schlecht, wie den Menschen auf der Straße. Denn Geld ist in Sicht.Arbeitende Menschen in gläsernen Gebäuden – und ich gehöre dazu.

Montag. Durch die deutsche Pünktlichkeit beeinflusst stehe ich um acht in dem großen, protzigen Gebäude in welchem ich mich ab jetzt 8 Stunden pro Tag und 5 Tage der Woche aufhalten werde. Nach einer kurzen Einführung zu Sicherheitsfragen und dem Antrag für meine persönliche Karte, ohne die hier gar nichts läuft, werde ich dem „Team“ vorgestellt und bekomme eine Mentorin an die Seite, die mir alles erklären soll. Sie ist gerade einmal achtzehn Jahre alt und ist vor anderthalb Monaten nach Dublin gekommen. Mein Training startet erst nächste Woche, daher sitze ich eine Woche lang einfach nur neben ihr und schaue zu. In den Zeiten zwischen den Dingen, die sie mir erklären kann, sitze ich da, treibe die Firma durch meinen übermäßigen Konsum des gratis Kaffees in den Ruin und suche nach Zimmern im Internet. Also, wer eine Wohnung in Dublin sucht: das kann ich inzwischen besser, als meinen eigentlichen Job.
Das Gefühl des Verlorenseins kommt wieder auf. Ich kann nur noch eine Nacht bei Josefin schlafen. Und dann? Ich kann zu Freunden von ihr gehen, aber die Hauptfrage ist damit trotzdem noch nicht geklärt. Ich beschließe, dass ich meinen eigenen Erkenntnissen folgen und alles nicht mehr so ernst nehme werde. „Es gibt immer einen Weg“. Aber ist es wirklich eine Entscheidung wie man die Welt sieht? Kann man sich selbst von etwas überzeugen? Oder bleibt vielleicht immer die kleine Stimme im Bauch die sagt, eigentlich empfindest du anders?
Aber hoffen und Vertrauen hilft manchmal doch. Als meine Mentorin von meinem Problem hört, fragt sie die Frau bei der sie den ersten Monat in Dublin untergekommen war. Und ihr altes Zimmer ist tatsächlich noch frei. Dann geht alles ganz schnell. Denn die Situation in Dublin ist zwar verzwickt und es dauert lange bis man etwas findet, aber wenn man erst einmal etwas gefunden hat, muss man sich auf eine rasante Durchfahrt aller wichtigen Stationen gefasst machen: Vertrag unterschreiben, Schlüsselübergabe, Zahlen der Kaution. Und dann kann es sein, dass man noch am gleichen Abend in seiner neuen Behausung steht. So ist es bei mir. Ich bekomme den Schlüssel, hole meine Sachen von Josefin und habe eine neue Bleibe. Endlich eine Adresse bis mindestens 11.Oktober. Dank der wunderbarsten drei Großeltern der Welt kann ich auch meine Kaution bezahlen und durchatmen. Alle Systeme können runtergefahren werden.
Und gleich am ersten Abend treffe ich einen jungen Iren in meinem neuen Hauseingang, den die Neugierde und das Ergreifen einer Chance hinein getrieben haben. Da wir beide davon überzeugt sind, dass diese Begegnung kein Zufall sein kann verbringen wir den Abend mit Gesprächen und Rotwein.
An jeder Ecke ein neues Abenteuer das man nur zu nehmen braucht. Verrückte Stadt.Dublin bei Nacht

Allerdings ist nur mit Umzug und Arbeit finden noch lange nicht alles getan.
Den Großteil der Woche sitze ich in irgendwelchen Ämtern und Banken und versuche alles zu organisieren, was meine Arbeitgeber noch brauchen damit sie mir mein erarbeitetes Geld am Ende des Monats überweisen können. Und das ist eine Rennerei. Drei Stunden anstehen für den Antrag einer PPS Nummer, die mich sozial absichert. Wenn man die nicht hat, zieht der Arbeitgeber eine Menge Geld vom Gehalt ab um einen für Notfälle abzusichern. Josefin meinte, es sei beinahe die Hälfte des gesamten Gehaltes. Und wer will das schon? Dann lieber Schlange stehen, Menschen kennenlernen und Stifte geschenkt bekommen.

Langsam bekomme ich ein Gefühl für die Stadt. Und für mich in dieser Stadt. Ich bewege mich zügig durch die Menschenmassen, weiß, dass eine rote Ampel hier nur einen Vorschlag darstellt und dass die Möwen auf der Grafton Street einem das Essen aus der Hand klauen. Nur mit dem Linksverkehr liege ich noch ein wenig im Klinch. Ich sehe immer als erstes nach links und nicht nach rechts. Obwohl die Straßen oft für Dummies gekennzeichnet sind. Und wenn ich denke, ich hätte es mal richtig gemacht, stelle ich fest, dass ich kurz gar nicht mehr weiß, was die richtige Richtung ist. Genauso mit den Sprachen. Was ich schon für Sätze kreiert habe. Interessantestes Kauderwelsch. Und sobald ich spontan auf jemanden reagieren soll, kann ich davon ausgehen, dass ich erst einmal die falsche Sprache wähle. Aber ich denke – oder hoffe – dass das ein notwendiger Schritt ist und dass es bedeutet, dass ich Englisch langsam immer mehr verinnerliche.Hunrige Möwen auf der Grafton Street

Ansonsten genieße ich in vollen Zügen, einen Raum für mich zu haben. Mein Zimmer ist klein und hat nur zwei Luken im Dach damit der Raum auch mal die Sonne sehen kann. Aber das ist völlig in Ordnung. Ich brauche keinen Luxus. Mein Luxus ist die Tür schließen zu können. Und die Frau die hier lebt – Monica aus Peru – ist so entspannt und vertraut mir voll. Es ist wie in einer Wg. Ich gehe und komme, wann immer ich will und habe alle Freiheiten der Welt. Und mit den Macken der Wohnung lernt man schnell umzugehen. Ich erschrecke mich nicht mehr, wenn der Kühlschrank mit plötzlichen Geräuschen auf sich aufmerksam macht, ich weiß, wo der Eimer in der Küche steht, wenn es mal reinregnet und ich kenne die beste Haltung um in der Küchenecke Internet empfangen zu können. Kurz: es ist ein Abenteuer – und so muss es sein.
Meinen ersten Abend allein seit ewigen Zeiten verbringe ich mit einem Glas Wein auf dem Dach und mache dem Sonnenuntergang über der Stadt Komplimente. Tief atmen. Und einfach da sein.Wein und die Stadt

Irgendwie scheine ich in den letzten Tagen meinen Grundsatz zu mehr Gelassenheit doch irgendwie ernst zu nehmen. Und er scheint wirklich darauf Einfluss zu nehmen, wie sich mein Leben entwickelt. Zum Beispiel kam, kurz nachdem ich mich dazu entschieden hatte mich selbst von mehr Vertrauen zu überzeugen, die Idee bei Monica einzuziehen. Vielleicht sind wirklich wir es, die sich das Leben schwer machen oder schwer denken, weil wir uns einreden, dass es schwer wäre. Dann zeigt uns unser Wahrnehmungsfilter genau die Dinge, die wir brauchen um daran festhalten zu können. Doch nimmt man das Leben leicht, wird es leicht. Ich bin davon überzeugt, dass das Leben auf einen zukommt, wenn man es nur lässt. Offen sein. Chancen ergreifen. Und sich selbst nicht zu ernst nehmen. Ich lasse die Dinge geschehen, denn sie passieren sowieso. Und so wie es ist, ist es richtig. Ich glaube, wenn man es schafft Leichtigkeit in sein Leben zu bringen kann man sich auch viel besser tragen lassen und geht nicht im alltäglichen Strudel unter. Dinge passieren. Die Bewertung liegt bei uns.
Und damit gelassene und glückliche Grüße an all die Menschen die mit mir durch dieses Leben schwimmen



