Sarah Viana Autorin Blog Reisen Irland Gegensatz und Gleichheit

Irische Tagebücher – 3 Gegensatz und Gleichheit


Sarah Eichler

„Tears and fears and feeling proud,
To say „I love you“ right out loud
Dreams and schemes and circus crowds,
I’ve looked at life that way.

Oh but now old friends they’re acting strange,
They shake their heads, they say I’ve changed
Well something’s lost, but something’s gained
In living every day.

I’ve looked at life from both sides now
From win and lose and still somehow
It’s life’s illusions I recall
I really don’t know life at all

I’ve looked at life from both sides now
From up and down, and still somehow
It’s life’s illusions I recall
I really don’t know life at all“

Joni Mitchell

Hier ein etwas verspäteter Eintrag. Die Ereignisse liegen bereits zwei bis drei Wochen zurück und haben ihre Spuren schon gezogen. Aber ich finde, sie waren trotzdem wichtige Punkte für mich und alle kommenden Momente sind natürlich auch eine Folge der vorangegangenen Ereignisse. Aus diesem Grund sollen sie nicht unerwähnt bleiben. Ich hoffe, dass ich die Zeit finde bald ein kleines Update zu schreiben. Jetzt geht es erst einmal los mit vielen Gedanken in vielen Worten

brücke.jpg
Die Nacht senkt sich über die größte Stadt Irlands

Samstag. Mir ist nach tanzen. Aber wo? Und allein? Tatsächlich bekomme ich eine Einladung zum tanzen, aber als ich im Internet nach der Musik schaue, muss ich mich wohl oder übel dazu entschließen mir allein etwas zu suchen. So packe ich am Abend Pfeil und Bogen ein und gehe auf die Jagt nach Tanzgelegenheiten. Diese können sich scheinbar nicht gut vor mir tarnen, weswegen ich direkt um die Ecke die erste erlegen kann. Drei Männer mit zwei Gitarren und spärlichem Schlagzeug heizen die Stimmung so an, dass nach den ersten drei Liedern die ganze Straße tanzt. Und ich mittendrin. Ich fühle mich absolut richtig. Alles ist, wie es sein soll. Die betrunkenen Männer vor mir, die dauernd filmende Frau oder die zwei Männer, die eindeutig darauf aus sind an diesem Abend nicht allein nach Hause zu gehen. Unter anderen Umständen hätten diese Menschen mein Freudensgefühl getrübt, da sie mich gestört oder ich meine Aufmerksamkeit von Ihnen hätte abziehen lassen. Aber sie alle waren da genau richtig. Sogar als ein wirklich alter Mann auf mich zu kommt und meine Hände zum tanzen nimmt, gebe ich sie ihm freiwillig und tanze mit James bis zum Ende des Liedes. Als er sich bedankt, danke ich ihm. Und meine dies ernst. Ich spüre, wie die neu gefundene Gelassenheit und festgefahrene Vorurteile in mir eine Diskussion beginnen. Doch als die Musik ein Ende findet spüre ich, dass meine Vorurteile schon eine ganze Weile beleidigt in der Ecke stehen. Wieder war es ganz deutlich, dass alles so sein soll, wie es ist. Nach einem wunderbaren Restabend mit Guinness, irischer Musik und dem Treffen eines Freundes bis früh um drei, habe ich das Gefühl, dass es absolut die richtige Entscheidung war hier her zu kommen. Doch wie dünn die Linie zwischen Zuversicht und Frustration ist, wird mir bereits in der Woche drauf sehr stark bewusst.

strasse.jpg
Bailando

Montag. Mein Training startet. Das bedeutet Informationen über die Firma, die Struktur, meine Arbeit und Sicherheitsfragen. Acht Stunden pures Wissen. Und alles auf Englisch. Der Trainer kommt aus Belgien und ist bereits seit zehn Jahren hier. Er ist unglaublich verständnisvoll und geduldig. Was er auch sein muss bei einer Deutschen, einer Italienerin und einer Spanierin, die alle drei nicht viel Erfahrung mit der englischen Sprache haben. Da wir aber eine halbe Stunde länger Pause haben, immer erst um 9 anfangen und ich dadurch eine Stunde länger schlafen kann, will ich mich nicht beschweren im Training zu sein. Die anderen sagen, ich soll mich bloß nicht daran gewöhnen und gehen neidisch zurück an ihren „Desk“. Aber alle (wirklich alle!) sind unglaublich nett und offen. Nach der ersten Firmenparty wurde ich offiziell als Teil des Teams anerkannt und bin nun verpflichtet nach jedem Urlaub eine typische Leckerei aus dem jeweiligen Land für alle mitzubringen. Wir sind insgesamt circa zehn unterschiedliche Nationen im Büro, was Unterhaltungen sehr spannend macht, zu Sprachwirrwar führt und die Leckereien sehr interessant bis manchmal fragwürdig gestaltet. Aber das schöne ist, dass man hier einfach willkommen ist, mit den Kollegen auch mal ein Bier trinken gehen kann und beim Mittagessen niemals versuchen muss einen Tisch alleine einzunehmen.

building

Und dennoch geht es mir in der ersten Woche nicht gut. Schon nach dem ersten Tag falle ich abends wie tot in meine Kissen. Viele Dinge gehen mir durch den Kopf. Was macht es so anstrengend für mich? Ich bin grundsätzlich eine gute Lernerin und es fällt mir nicht schwer, mir Wissen anzueignen. Ich denke, das erste ist die Sprache. Tagträumen und zu einem späteren Zeitpunkt zurückkommen geht für mich nicht. Ich muss immer da sein. Sonst verlieren sich die Worte in dem gläsernen Raum um mich herum und mein Kopf kann sie nicht mehr einfangen. Das zweite ist, dass die ersten Aufregungen vorbei sind und ich nun die Folgen dieser zu spüren bekomme. Der Stress durch die Angst davor keine Bleibe zu haben, die Anstrengung alles zu organisieren und hier irgendwie Fuß zu fassen und die andauernde Angespanntheit durch eine mir unbekannte und mich umgebende neue Welt auf die zu reagieren ich erst noch lernen muss. All das hat viel Energie gekostet und ich habe nun das Gefühl, dass mir weniger Kraft zur Verfügung steht. Zu der ganzen Anstrengung kommt noch hinzu, dass ich mich mal wieder mit meiner Wunschvorstellung nach Perfektion auseinandersetzen muss. Ich will den Abschlusstest am Ende des Trainings natürlich bestehen. Doch ich merke, dass mir das nicht genug ist. Ich will sehr gut sein – vielleicht sogar die Beste. Und merke selbst, wie abstrus das eigentlich ist. Denn ich sehe meine Schwächen ganz deutlich und spüre, dass mir viele der Umstände die Kraft nehmen, die ich bräuchte um meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Und dennoch setze ich mich selbst unter Druck ein Ziel zu erreichen, was mir unter den ganzen stressigen Umständen nicht möglich ist, was mich unter noch mehr Stress setzt. Ein Teufelskreis, der durch die einfache Einsicht unterbrochen werden könnte, dass es nicht wichtig ist die Beste zu sein und dass ich einsichtiger mit mir selbst sein muss. Daran arbeite ich aber noch. Und dann ist da natürlich noch der Fakt, dass auf der emotionalen Ebene gerade viel zu mir vordringt. Ich beginne Menschen zu vermissen, mir Umstände anders zu wünschen und habe eine sehr dünne Haut. Doch ich spüre, dass ich dadurch auch sehr mit mir selbst im Kontakt stehe. Ich habe das Gefühl, dass ich beim Verlassen meiner Komfortzone auch einen Teil meines Schutzpanzers abgelegt habe und alles direkt und noch tiefer zu mir vordringt. Doch gerade das sehe ich als Chance noch einmal mit anderen Teilen meines Selbst in Verbindung zu treten, denen ich mit Schutzpanzer niemals begegnet wäre. Es gibt mir die Gelegenheit mich noch besser kennenzulernen. Daher versuche ich stark emotionale Momente einfach zu nehmen, wie sie sind und zuzulassen. Mir geht ein Spruch durch den Kopf, den ich vor längerer Zeit mal gehört habe: „Manche Situationen unseres Lebens können wir nicht lösen. Wir müssen sie leben – bewusst durchleben. Das ist ihre Erlösung und unsere Befreiung.“ Und tatsächlich habe ich schon früher die Erfahrung gemacht, dass es mir kurzfristig und dauerhaft besser geht, wenn ich Probleme, die mich wirklich belasten, nicht verdränge sondern mich Ihnen einfach eine Weile hingebe, auch den Schmerz mal spüre und sie dann aber wirklich gehen lassen kann. Nicht, dass ich nie versucht hätte Gefühle zu verdrängen. Ich habe alles gemacht, was man sich unter klassischen Verdrängungsmethoden vorstellen kann. Man braucht nur an die vielen verschiedenen Wege zu denken, die man aus diversen amerikanischen Liebesfilmen kennt und hat ein ungefähres Bild. Aber immer habe ich es im Nachhinein bereut und gedacht, dass ich jetzt aber wirklich etwas dazu gelernt habe. Diesen Satz werde ich wohl noch oft von mir zu hören bekommen. Aber letztendlich hat sich für mich immer wieder bestätigt, dass ich die Dinge, die ich nicht verdrängt habe, schneller verarbeiten und dauerhafter hinter mich bringen konnte. Und wenn ich nach einem weiteren anstrengenden Tag im Training mal die ein oder andere Träne vergieße, da mir bestimmte Menschen in meinem jetzigen Alltag fehlen und mir keine Kraft mehr zur Verfügung steht, dann ist das okay und darf auch mal sein. Denn wenn ich etwas aus meiner bisherigen Zeit hier gelernt habe, dann dass dies das Leben ist. Es geht auf und ab. Und das manchmal gleichzeitig. Denn zwischendurch habe ich das Gefühl, dass es gar keinen Unterschied mehr zwischen Gefühlen, wie Traurigkeit und Freude, Vermissen und nicht missen, Gelassenheit und Verzweiflung gibt. Denn all diese negativ bewerteten Gefühle in mir müssen sich den Platz mit all ihren angeblichen Gegensätzen teilen. Wenn ich traurig bin, da ich einen mir sehr wichtigen Menschen vermisse, dann ist da gleichzeitig die Freude darüber, dass mir jemand so wichtig ist, dass ich ihn auf diese Weise vermissen kann. Wenn ich wieder müde und frustriert bin, weil ich den ganzen Tag meine Konzentration auf die englische Sprache richten musste, dann fühle ich auch Stolz in mir, dass ich es geschafft habe und durch die Dauerbeschallung mein Verständnis und meine Sprache besser werden. Wenn ich kraftlos und verzweifelt bin, weil das Training so anstrengend ist und ich nicht weiß, ob der Job das richtige ist, dann ist da gleichzeitig die kleine Stimme in mir, die mich auf den immer existierenden Weg vor mir hinweist. Und die Gelassenheit sagt: Nimm doch nicht alles so ernst. Und dann sage ich: Wenn ich das mit dem Job aber nicht schaffe? Wenn ich mich aber nicht wohl fühle? Wenn es durchgehend so anstrengend bleibt? Wenn ich den Abschlusstest nicht bestehe? Dann muss ich was anderes finden. Dann muss ich woanders hingehen. Dann muss ich aufgeben. Und die Gelassenheit schaut mich an und sagt: So what? Und sie hat vollkommen recht. Und? Was dann? Dann ist es eben so. Dann finde ich einen neuen Job. Dann gehe ich woanders hin. Und aus irgendeinem Grund wird das richtig sein.

weg.jpg
Erleuchtete Wege

Galway. Ganz im Westen. Eine neue Stadt. Und nur dieser Umstand bringt alte Gefühle wieder an die Oberfläche, die ich in der letzten Woche begonnen hatte zu vermissen. Ich sitze in einem kleinen gemütlichen Kellergewölbe im Licht der Kerzen und trinke ein Glas italienischen Hauswein. Ich fühle mich frei und relaxt. Etwas das mir mein Selbst-Orakel eigentlich erst Ende nächster Woche vorhergesagt hat, wenn das Training beendet ist. Was ein 2 1/2 stündiger Abstand so alles mit sich bringen kann. Als ich aus dem Bus stieg kam das Gefühl der Aufregung und Freude zurück, welches ich bei Neuanfängen so liebe. Durch den stressigen Alltag in Dublin  und meine tägliche Erschöpfung war mir das Bewusstsein abhanden gekommen, dass dies eine besondere und aufregende Zeit ist, die es zu genießen gilt. Doch hier, in diesem kleinen Restaurant mit dem Straßenmusikanten vor der Tür, kommt alles wieder.

galway.jpg
Nächtliches Galway

Nach der Pizza und dem Wein laufe ich noch eine Stunde durch die Stadt, bis ich plötzlich den Geruch nach Salzwasser und Algen wahrnehme. Ich folge meiner Nase bis die ersten Schiffe vor mir auftauchen. Und dann stehe ich bereits am Wasser; Auge in Auge mit dem großen Ozean.

watergalway.jpg
Grüße nach Amerika

Der Atlantik begrüßt mich mit einer kühlen Brise und einer alles verschlingenden Dunkelheit. Und wieder steigen mir ein paar Tränen in die Augen. Doch diesmal aus einem puren Gefühl des Überwältigt Seins heraus. Eine unvorstellbare Weite breitet sich vor mir aus und führt mir meine unendliche Freiheit vor Augen. Ich bin frei zu gehen wohin auch immer ich will. Ich kann die Dinge tun, die ich tun will. Die Freiheit und die Weite sind da; ich muss nur die Schritte tun. Gleichzeitig fühle ich mich angesichts dieser Stärke und Größe ganz klein und wieder wird mir bewusst, dass es wirklich keinen Grund gibt mich und mein Leben zu wichtig zu nehmen. Dieses Meer mit seinen Wellen, Algen und Strömungen kümmert sich nicht darum, ob ich in Dublin lebe und arbeite, ob ich nach Nepal auswandere und Bergsteigerin werde oder ob ich meinen Abschlusstest bestehe. Natürlich spielt es für mich eine Rolle, aber vielleicht kann ich das Rauschen des Meeres mit in mein Leben nehmen und mich von den Wellen tragen lassen bis zum nächsten Strand der der meine werden soll.

ocean.jpg

Nach gefühlten 20 Minuten verabschiede ich mich von dem Salzgeruch und laufe zurück zur Busstation um Martin (einen irischen Freund mit dessen Hilfe ich in Deutschland Englisch gelernt habe), seinen Bruder und dessen Freundin abzuholen. Schon in Deutschland habe ich eine Einladung von Martin bekommen, ihn zu der Hochzeit eines seiner vielen Cousins zu begleiten. Da er aber erst so spät in Dublin ankam, bin ich schon voraus gefahren und hatte drei Stunden um Galway auf eigene Faust zu erkunden.

Nach etwa einer Stunde Fahrt im Auto über die, für Irland üblichen, schmalen, hügeligen und löchrigen Straßen halten wir „in the middle of nowhere“ am Haus von Martins Eltern. Die irische Gastfreundlichkeit scheint auch an diesem Haus nicht vorbeigegangen zu sein. Ich werde zur Begrüßung umarmt, mit einem ständig gefüllten Weinglas ausgestattet und muss das reichliche Essen etwa zehnmal höflich ablehnen, da die Pizza meinen Magen noch gut ausfüllt. Ich werde in Gespräche mit einbezogen, mir werden Fragen gestellt und jeder scheint ehrlich interessiert. Gegen zwei Uhr muss ich mich leider verabschieden, da ich zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwanzig Stunden auf den Beinen bin und die vorangegangene Woche ihre Spuren hinterlassen hat. Außerdem will ich für die Hochzeit am nächsten Tag fit sein, da ich vor habe solange zu tanzen, bis die Band von der Bühne fällt.

kühe.jpg
In the middle of nowhere

Der nächste Tag beginnt für jeden zu einem anderen Zeitpunkt. Martin und sein Vater müssen früh raus, da sie sich um die Tiere auf der, etwa eine Meile entfernten, Farm kümmern müssen. Die Mutter ist zwar schon früh auf, läuft aber noch in ihrem Morgenmantel umher. Bruder und Freundin beginnen den Tag im eingespielten gemeinsamen Morgenritual. Und ich? Ich schlafe endlich mal wieder aus und begrüße den Morgen mit einer langen und warmen Dusche. Nach und nach treffen sich alle in der Küche wieder und machen sich langsam fertig für die Hochzeit. Haar muss getrocknet, Kleider und Hemden gebügelt und passende Krawatten gefunden werden.

view.jpg
Auf dem Weg zur Kirche

Doch so rausgeputzt fallen wir zwischen den anderen Gästen in der kleinen Kirche nicht weiter auf. Wer schon einmal eine Hochzeit in einem Hollywood-Film gesehen hat, war quasi mit dabei. Die Kirche ist geteilt in die Seite des Bräutigams und die der Braut. Die Hochzeitsgäste scheinen alle direkt aus einem Modemagazin entsprungen und tragen stolz die neusten Kleider und Hüte zur Schau. Die Brautjungfern kommen in identischen pinken Kleidern hereingeschritten bevor die Braut von ihrem Vater an ihren zukünftigen Mann überreicht wird. Die Zeremonie wird von einem sehr alten Priester durchgeführt, der durch diverse Denkpausen und lange Reden die ganze Veranstaltung auf stolze anderthalb Stunden ausdehnt. Doch auch, wenn ich nicht religiös bin und auch meine ganz eigene Meinung zur Institution Ehe habe, so ist es dennoch ungemein schön und anrührend zu sehen, wie nervös die beiden sind und wie glücklich sie sich gegenseitig zu machen scheinen. Denn nicht für mich muss diese Hochzeit Sinn ergeben, sondern für die zwei Verliebten vor dem Altar. Und mit diesem Satz im Hinterkopf kann ich mich gelassen auf das religiöse Schauspiel einlassen und mich mit Martin über besonders auffällige Hüte lustig machen und Eltern beobachten, die verzweifelt ihren Kindern über alle Bänke hinterher steigen bei dem Versuch sie davon abzuhalten, die ganze Veranstaltung zu schmeißen.

house.jpg
Das perfekte Haus für eine riesige Feier

Und auch die Feier scheint direkt aus einem Film gefallen zu sein. Das Brautpaar sitzt an einer erhöhten Tafel, neben dem Bräutigam die Trauzeugen und seine Eltern und neben der Braut die Brautjungfern und ihre Eltern.

miniguinness.jpg
Mini-Guinness – Als shot genauso intensiv wie ein echtes Pint

Reden werden geschwungen, das Paar wird begossen und die Torte wird unter Blitzlichtgewitter angeschnitten. Und nach einem Sechs-Gänge-Menü wird es endlich Zeit für die Band.

lampe.jpg

Doch als alle anfangen zu tanzen fällt mir auf, dass immer nur Paare auf der Tanzfläche zu sehen sind. Ich frage Martin. Er erklärt mir, dass die Iren es nicht gewöhnt sind auf Hochzeiten alleine zu tanzen. Spät nachts, wenn die Stunde des Djs geschlagen hat, sieht man auch mal einzelne Rehe über die Fläche springen. Das Problem hierbei ist nur, dass ich Tanzen wirklich liebe, aber nur allein. Ich schließe die Augen und genieße den Augenblick wenn die Musik durch die Bewegung in meinen Körper dringt und ihn von ganz allein bewegt. Einfach bewegen lassen. Kontrolle abgeben. Und bei mir ankommen. In den letzten Tagen war so viel von außen auf mich eingeströmt, dass ich es wirklich bräuchte, das Umfeld wenigstens für kurze Zeit auszublenden. Das kann ich nur nicht, wenn ich mich auf einen Tanzpartner konzentrieren muss. Und entgegen aller irischen Traditionen springe ich auf die Tanzfläche und walze mir allein eine Schneise durch die tanzende Menge. Für Stunden bin ich nicht mehr ansprechbar. Die Tanzspiele mache ich zwar gerne mit, lasse mich auch mal von einem der Trauzeugen durch den Raum drehen und registriere erfreut, dass die Bierfee mein Glas immer wieder auffüllt sobald ich an meinen Tisch zurückkehre. Aber den Rest des Abends genieße ich das unglaublich befreiende Gefühl in einem Umfeld in dem mich niemand kennt, einfach mal die Kontrolle abgeben und die Augen schließen zu können.

dance.jpg
And bailando again

Nach einer Nacht in einem Bilderbuch-B&B und meinem ersten traditionell irischen Frühstück, verbringen wir den Tag noch in Galways Straßen und fahren dann zurück nach Dublin. Irgendwie fühle ich mich aufgeladen. Doch als ich an den kommenden Montag und an die Anstrengung denke und mir wird das Herz ein bisschen schwer. Aber plötzlich schiebt sich das Bild rauschender Wellen und der Geruch nach Seetang zwischen mich und meine trüben Gedanken. Ich sitze wieder in dem kleinen italienischen Restaurant und fühle alle Wellen meines Lebens gleichzeitig: Freude und Trauer, Sehnsucht und kein Sehnen, Gelassenheit und Anspruch, Frustration und Gleichgültigkeit, Energie und Müdigkeit, Wirrwarr und Klarheit.  Ich sehe, dass diese Begriffe immer an zwei unterschiedlichen Enden einer langen oder längeren Linie standen, die beides sehr deutlich voneinander trennte. Aber nach der letzten Wochen ist diese Linie nicht mehr horizontal sondern vertikal zwischen den Gedanken und Gemütszuständen, die mich die ganze Zeit über begleitet haben. Der Schritt von einem zum nächsten ist geradezu fließend; wenn sie nicht sogar ein und das Selbe sind. Oder zumindest aus der gleichen Quelle stammen. Denn das eine kann ohne das andere nicht sein. Wenn ich die Tiefen nicht fühlen kann, gibt es in meinem Leben auch keine Höhen. Und letztendlich macht genau diese Abwechslung das Leben bunt und spannend. Ich habe aus den letzten Wochen gelernt, das Leben so zu nehmen, wie es kommt. Ich muss nur noch lernen, aus den Höhen mehr Schwung für die Tiefen mitzunehmen, wie es ein kluger, junger Mann vor kurzem formulierte. Ich werde mein Augenmerk auf die Dinge legen, die mir die Kraft geben, auch schwierige Zeiten zu durchwandern und letztendlich ist jede gute oder schlechte Erfahrung eine Erfahrung für die ich dankbar sein kann. Schlussendlich haben alle Gegensätze, die ich empfinde, immer den gleichen Ursprung: mich und meine persönliche Bewertung. All diese Gefühle und Empfindungen resultieren nur aus meiner Bewertung meiner Umwelt. Dies macht ein Gefühl, wie Trauer, zu etwas veränderlichen, zu einem nicht endgültigen Zustand. Und auch gute, fröhliche Momente liegen dann in meiner Hand. Ich denke, wenn ich die Quelle meiner Gefühle und Gedanken bin, dann liegt auch deren Lösung in mir. Das macht es irgendwie leichter, sie einfach anzunehmen und als Teil des Selbst zu behandeln. Und wenn sie genügend Aufmerksamkeit bekommen haben, können sie auch wieder gehen. Wie die Wellen auf dem Meer ihren Ursprung haben, wachsen, brechen und ins Meer zurück gehen. Und es gibt immer wieder Tage an denen auch das Meer keine Wellen hat. Ich werde beginnen die Verantwortung für meine Lebenswellen zu übernehmen und sehen wohin ich mich selbst tragen kann. Denn all dies sind Facetten meiner Selbst Und wer sollte sonst die Verantwortung für mein Leben übernehmen, wenn nicht ich?

ich und meer.jpg

Und damit rauschende Grüße an all die vielen Wellen da draußen.  

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Scroll to Top