Sarah Viana Autorin Blog Reisen Irland Anfang

Irische Tagebücher – 1 Abschiede und Neuanfänge


Sarah Eichler

„Birds flyin‘ high, you know how I feel
Sun in the sky, you know how I feel
Breeze driftin‘ on by, you know how I feel
It’s a new dawn, it’s a new day, it’s a new life for me.
Yeah, it’s a new dawn, it’s a new day, it’s a new life for me, oh
And I’m feelin‘ good.“

Nina Simone

Aller Anfang …

Ihr Lieben in der Ferne. Es folgen die ersten Eindrücke meiner Reise. Leider weiß ich noch nicht wie ich Bilder in den Text einarbeiten kann, ohne dass sie verrutschen. Deswegen gibt es nur ein paar Bilder am Ende 
Ihr braucht wohl etwas Zeit, da die Erlebnisse und deren Berichte so vielfältig sind, dass ich mich kaum zügeln kann. Allerdings könnte ich mehr als das vierfache schreiben. Und wer mich kennt, weiß, dass ich einen Faible habe für lange Sätze und bildhafte Geschichten. Was man vielleicht schon an der Einleitung erkennen kann. So jetzt geht es aber los.

Was kann man schon groß über eine Flugreise schreiben? Wahrscheinlich nicht viel mehr, als jeder andere auch. Das Warten, in Schlangen stehen, wieder warten, Wege finden und erneutes Warten lässt einen regelrecht abstumpfen. Und das Gefühl der Aufregung und Freude sitzt mit auf der Wartebank und fragt sich, wann es wichtig wird. Nach zwei Stunden stop-and-go saß ich endlich im Flugzeug – Fensterplatz. Doch auch jetzt regte sich nichts in mir. Nur, dass die Stuardessen bereits Englisch sprachen, ließ mich deutlich spüren, wo es hin ging.

Als der Pilot das Flugzeug gefühlte zwanzig Minuten einfach nur Kreuz und quer über das Rollfeld schob, dachte ich an die vielen Abschiede der letzten Tage und Wochen und fragte mich, wo all die damit verbundenen Gefühle abgeblieben waren. Immerhin habe ich vorher nur darüber gesprochen und das war genug um Freunden und Familie weinend um den Hals zu fallen. Wo waren die Gefühle jetzt, wo der Augenblick da war? Die Freude, die Trauer, die Aufregung, das schlechte Gewissen, das Vertrauen. Ich realisierte erneut welchen Einfluss unsere Gedanken und Vorstellungen auf unsere Gefühle haben und darauf, wie wir die Welt betrachten. „Warum so betrübt? Ein Jahr geht schnell vorbei!“, sagte ein Freund zu mir, als ich mich von ihm verabschiedete und mit den Tränen kämpfte. Dieser Satz sitzt noch immer in meinem Kopf und macht mir jedes Mal auf das Neue bewusst, wie unterschiedlich Menschen mit Abschieden umgehen. In den letzten Wochen habe ich mich von vielen geliebten Menschen verabschiedet und festgestellt, dass genauso viele unterschiedliche Wege existieren mit Abschieden umzugehen, wie es Menschen gibt. Alles war mir begegnet. Vom kühlen Rationalisten über die ergriffene Freundin bis hin zu blutenden Elternherzen. Und jeder Abschied eröffnete mir einen neuen Weg meinen eigenen Umgang mit diesem Thema neu zu bedenken. Und ich fand von jedem etwas in mir wieder. Die Welt ist nun einmal nicht schwarz oder weiß. Ein Abschied nicht nur traurig und ein neues Abenteuer nicht nur schön. Für mich ist es wichtig eine Balance zu finden zwischen den Momenten in denen ich mit Menschen den Abschied mit Tränen begießen kann und den Momenten in denen ich neuen Mut schöpfe, weil mein Gegenüber einen ganz anderen Blick auf die Sache hat. „Mach es dir doch nicht so schwer!“
Ich will auf keinen Fall das schon viel zu voll geladene Frachtschiff der Unterschiede zwischen Männern und Frauen öffnen, muss aber wenigstens durch ein kleines Bullauge schauen, da ich doch deutliche Tendenzen erkennen konnte, welche die rationalen Männer und die emotionalen Frauen auf unterschiedliche Seiten stellte. Doch lassen sich natürlich beide Seiten auch in mir wiederfinden. Und umso näher der große Moment rückte, desto mehr entdeckte ich die männliche Seite in mir. Allerdings weiß ich auch, dass ich nach der Landung erst einmal rational funktionieren muss. Ich habe noch ein paar Dinge zu besorgen, muss mir eine Karte für die öffentlichen Verkehrsmittel und einen Plan von Dublin organisieren und den Weg in die Stadt finden. Zu meiner Erleichterung habe ich gestern abend noch eine spontane Zusage von einer Frau aus Dublin bekommen, dass ich bei ihr schlafen kann über das Wochenende. Das war bis dahin noch nicht klar gewesen. Aber irgendwie hatte ich die ganze Zeit über Vertrauen: „Irgendeinen Weg gibt es immer“.

Als das Flugzeug startete, kam alles zurück! Die Aufregung, die Freude, die Ungewissheit, die Gedanken an all die geliebten Menschen. Und als wir durch die Wolkendecke stießen, konnte ich den gigantischen Glücksballon in meinem Innern kaum noch halten. Alles ist so, wie es sein soll und über den Wolken scheint immer die Sonne!

Die grüne Insel

Und manchmal auch darunter. Dublin empfängt mich erstaunlicher Weise mit besserem Wetter als mich Berlin verabschiedet hat. Nach dem langen Warten auf den richtigen blauen Rucksack und dem Suchen nach einem Ausgang, muss ich zum ersten mal Englisch reden. Während ich nach dem Ticket für den Bus frage, fällt mir auf, dass mir das Reden an sich nicht wirklich schwer fällt. Es ist bei weitem nicht so eine Herausforderung, wie in Deutschland wo ich das Englischprechen eher vermeide, wenn es geht. Vielleicht habe ich mich bereits damit abgefunden, dass dies meine Kommunikationssprache für die nächsten Monate sein wird. Oder es liegt daran, dass es hier um etwas geht. Ich muss kommunizieren damit ich bekomme was ich will und brauche. Es gut zu wissen, dass ich alte Gewohnheiten ablegen kann, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.

Die Fahrt in die Mitte der Stadt dauert länger als gedacht und nimmt mir die Illusion von einem kleinen Dublin. Die Stadt ist groß. Nicht in der Höhe. Aber in der Breite. Und all die kleinen verwinkelten Gassen machen diesen Eindruck noch stärker da man dreimal um eine Ecke biegen kann und den Weg zurück vergessen hat.

Nach der Fahrt im Doppelstockbus (alle Busse hier haben zwei Stockwerke und freies WLAN) die mich sehr an die Busfahrt in einem Harry Potter Film erinnert hat, steige ich an einer zufälligen Station aus. Ich habe kein Ziel. Ich hole mir eine Karte für den öffentlichen Nahverkehr, eine Stadtkarte und gehe erst einmal einen Kaffee trinken. Es ist alles so irreal. Was tue ich hier eigentlich? Ich habe das Gefühl ganz viel tun zu müssen, aber das muss ich nicht. Das erste Mal seit gefühlten Jahren, habe ich nichts zu tun. Ich hatte auch vorher schon einmal nichts zu tun, aber es gab immer längerfristige Aufgaben, die in meinem Kopf herumgeisterten und es mir schwer machten, komplett zu entspannen. Aber jetzt… Ich habe keine Aufgabe und kein Ziel. Mal sehen, wie sich das entwickelt.

1irland

Nach meinem Kaffee treffe ich meinen persönlichen Schutzengel. Josefin. Sie kauft mit mir eine Prepaid Karte, erklärt mir wie man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln umgehen muss und kauft für ein gemeinsames Abendessen ein. Als wäre das noch nicht genug, fragt sie Freunde nach einer Bleibe für mich und hat ein paar gute Ideen. Das wird das nächste große und spannende Thema.

Es ist immer wieder faszinierend und unglaublich wertvoll, wenn man Menschen trifft und gleich merkt, dass irgendetwas stimmt. Vom allgemeinen Geplänkel über die Reise kommen wir sehr schnell zu persönlichen Themen, ohne das Gefühl zu haben, dass diese persönliche Öffnung nicht gut aufgefangen werden könnte. So haben wir einen sehr lustigen und tiefgründigen Abend mit Pasta, Wein, Eis und Lösungsvorschlägen für verzwickte Beziehungsprobleme.

Erste Schritte im neuen Zuhause

Der nächste Morgen empfängt uns mit strahlendem Sonnenschein, einer ordentlichen Portion Wind und Eierkuchen zum Frühstück. Das Gefühl der Liste im Hinterkopf kommt zurück. Punkt eins: Eine Bleibe finden. Punkt zwei: eine PPS Nummer beantragen, die mich für soziale Notfälle absichert und Punkt drei: Ein Bankkonto eröffnen. Die zwei letzten Dinge kann ich aber nicht machen, solange ich keine Adresse habe. Nach ersten Versuchen eine Wohnung oder einen Raum zu finden, kann ich nur noch auf Antwort warten und gehe mit Josefin in die Stadt. Die Bezahlung des Busses funktioniert so, dass man seine „leap card“ auf eine Lesefläche legt und dem Fahrer mitteilt, wohin man will oder welche Summe abgebucht werden soll. Der zieht dann den Betrag von dem Geld ab, welches man vorher auf die Karte geladen hat. Dabei muss man aufmerksam bleiben, da manche Fahrer mehr abbuchen, wenn man nur sagt, wo man hin will und nicht weiß, wie viel diese Strecke kostet.

In der Innenstadt suchen wir einen Kaffee. Beim durch die Straßen laufen kommen wir an einer großen Demonstration vorbei. Es geht um die Aufnahme von mehr Flüchtlingen. Es sollen wohl bald um die 4000 Flüchtlinge in Irland untergebracht werden. Die Leute auf der Straße sprechen sich dafür aus, dass Irland noch mehr aufnehmen kann. Es gibt unzählige leer stehende Gebäude und Grundstücke die keiner mehr nutzt, die problemlos dafür Anwendung finden könnten. Doch wie überall gibt es auch hier Probleme mit den einfachsten Lösungen. Manche wollen die hilfsbedürftigen Menschen nicht in ihrer Nähe oder die Bürokratie fährt dazwischen. Nur wäre es wohl ein wichtiger Schritt für die Integration der Flüchtlinge diese auch räumlich zu integrieren. So sieht man, dass dieses Thema auch auf dieser kleinen Insel ein großes Streitthema darstellt. Menschlichkeit und Ängste machen eben nicht vor dem großen Wasser halt.

Sonst so

Was gibt es noch zu erzählen? Meine ersten Eindrücke von Dublin sind bunt und bestätigen viele Klischees. An vielen Ecken trifft man Straßenkünstler und aus den Bars schallt bereits nachmittags um vier betrunkenes Feiergebrüll. Es ist laut, voll und hell. Die Menschen hier sind unglaublich freundlich und aufgeschlossen und es geschieht nicht selten, dass man ein spontanes Lächeln von einem Fremden auf der Straße überreicht bekommt. Die Musik ist überall und schenkt mir einen warmen Willkommensgruß. Alles in allem bin ich hier vollkommen richtig für den Moment.

Noch ist es nicht ganz angekommen, dass ich in Dublin bin und dort auch erst einmal bleiben werde. Es fühlt sich an, wie ein Kurzurlaub. Aber wenn ich daran denke, dass es ein wenig länger gehen wird, kann ich nur tief durchatmen, Vertrauen haben und an Menschen, wie Josefin, denken, die einfach da sind, wenn man sie braucht und mir genau die Erfahrungen ermöglichen, die gerade dran sind. Denn was ist der schönste und interessanteste Ort ohne die Menschen, die ihn füllen?

Dies muss erst einmal an Eindrücken reichen. Ich denke die ersten Tage werden vergehen wie im Flug und werden mir erst einmal einen Überblick verschaffen, was mich hier alles erwartet. Am Montag fange ich bei meinem neuen Job an und versuche bis dahin eine Bleibe zu finden. Ich bin gespannt, wie das läuft. Vor diesen Sorgen wird mich jetzt mein erstes Bier hier retten.
Und damit ein fröhliches „cheers“ an all die bunten Menschen da draußen.

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Warmer Herbsttag in der verregnetsten Stadt der Welt

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